Das so genannte "Judenhaus"

von Manuel Werner, Nürtingen

Das so genannte "Judenhaus" in der Gerberstraße 26 an der Eisenbahnüberführung, Foto; Manuel Werner, 2013, alle Rechte vorbehalten!
Das so genannte "Judenhaus" in der Gerberstraße 26 an der Eisenbahnüberführung, Foto; Manuel Werner, 2013, alle Rechte vorbehalten!
Aus: Manuel Werner: Juden in Nürtingen in der Zeit des Nationalsozialismus. Nürtingen/Frickenhausen 1998, S. , alle Rechte vorbehalten!
Das so genannte Judenhaus, Gerberstraße 26, 90er-Jahre, aus: Manuel Werner: Juden in Nürtingen in der Zeit des Nationalsozialismus. Nürtingen/Frickenhausen 1998, S. 22, alle Rechte vorbehalten!

Das hier abgebildete Gebäude Gerberstraße 26 steht neben der Eisenbahnbrücke, die über die Steinach und die Gerberstraße führt.

 

Auch heute noch wird es als "Judenhaus" bezeichnet. Auf Nachfragen kann meistens nichts Genaueres geantwortet werden.

 

Eine älteres Nürtingerin, damals 89 Jahre alt, als die Antwort Mitte der 90er-Jahre aufgezeichnet wurde, erinnerte sich noch: "Vorne war das Wohnhaus, seitwärts, der Länge nach in Richtung Ziegelstraße, die Stallung für den Viehhandel."

 

Seit 1927 war dieses Haus nicht mehr im Besitz eines jüdischen Eigentümers. Andere Gebäude hingegen waren noch Jahre später in Besitz jüdischer Eingetümer. Weshalb ist ausgerechnet dieses Gebäude als "Judenhaus" in Erinnerung?

 

Gründe

 

Es handelte sich um das erste Wohnhaus, das ein Jude im 19. Jahrhundert nach der erneuten Niederlassung von Juden in Nürtingen erwarb und es blieb über ein halbes Jahrhundert im Besitz der Famlie des Käufers. Veit Liebmann aus Wankheim (Jahrgang 1807) kaufte dieses Haus am 6. Mai 1863 aus der Erbmasse des Steinhauers David Graner. Er war kein Viehhändler, sondern hatte einen Textilladen in der Frickenhäuser Straße 20.

 

Nach seinem Tod ging das Wohnhaus je hälftig an seine Schwiegersöhne Leopold Herrmann und August Wallerstein. 1876 gehörte es dem Nürtinger Viehhändler Leopold Herrmann allein, der es baulich verbesserte. 

Nach dem Tod von Leopold Herrmann im Jahr 1900 und seiner Frau Fanny geborene Liebmann  im Jahre 1902 blieb das Gebäude im Besitz des zweitältesten Sohnes, Ferdinand Herrmann (Jahrgang 1876). Auch er ließ das Haus ausbauen und er errichtete einen Anbau. Ferdinand Herrmann  war zeitlebens eine stadtbekannte Erscheinung, und wurde bereits vor dem Dritten Reich zur Zielscheibe antisemitischer Schmähungen, insbesondere als er privat und wirtschaftlich in den 20er-Jahren in Schwierigkeiten geraten war. 

Grabstein von Ferdinand Hermann, Foto: Manuel Werner
Grabstein von Ferdinand Hermann, Foto: Manuel Werner

1927 wurde das Gebäude zwangsversteigert, da Ferdinand Herrmann wie oben erwähnt in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen war. Es ging 1928 in den Besitz der Stadt Nürtingen über, die es heute noch in Besitz hat.

 

Ferdinand Herrmann starb am 1. Dezember 1929 im Alter von 53 Jahren. Sein Grabstein steht auf dem jüdischen Steigfriedhof in Cannstatt.

 

Als einziger der dortigen Grabsteine Nürtinger Gemeindemitglieder ist er mit einem Magen David (מגן דוד) versehen, üblicherweise hierzulande als "Davidstern" bezeichnet.

Text: Manuel Werner, Nürtingen, Stand: 25. Juli 2013

 

Quelle und empfohlene Literatur (Text in großen Teilen identisch):

 

  • Manuel Werner: Juden in Nürtingen in der Zeit des Nationalsozialismus. Nürtingen/Frickenhausen: Sindlinger-Burchartz 1998, 159 Seiten, illustriert; 25 cm , ISBN 3-928812-18-1. EUR 13,50, S. 21 f. sowie 17 f. und 87 ff.
    Hinweis für Schüler: Dieses Buch kann in der Stadtbücherei Nürtingen entliehen werden, Signatur und dortiger Standort: BaWü 438 (also nicht bei NS-Zeit, Judentum etc., sondern ganz oben, im Lesezimmer gegenüber den Zeitschriften.

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