"Missliebig": Fritz Knöll – Berufsverbot für ein Mitglied der DDP

Aufgrund eines Antrags der NSDAP-Fraktion beschloss der Nürtinger Gemeinderat unter Bürgermeister Hermann Weilenmann (1878 – 1959 (1/448)) am 12. Mai 1933,  „die von dem Gehilfen Fritz Knöll versehene Stelle beim städt. Elektrizitätswerk aufzuheben und demselben auf den nächstmöglichen Termin ... zu kündigen“ (2). Diese Kündigung kommentierte Weilenmann nach dem Krieg mit den Worten: „Damals musste er seinen Dienst auf Drängen der NSDAP verlassen, weil er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) war und sich als solches aktiv betätigte“ (3). Die DDP war eine linksliberale Partei, die von den Nationalsozialisten aufgelöst wurde, nachdem sie an die Macht gekommen waren.

Fritz Knöll, 1904 in Nürtingen geboren (4), war der Sohn des Bauern Karl Knöll (1870-1949) und seiner Frau Anna, geborene M. (1867-1939), aus der Marienstraße. Karl Knöll war einer der Gründer der Nürtinger DDP (5). Für diese Partei saß er schon 1919 im Nürtinger Gemeinderat (1/449).

Bis zum Ende der 1920er Jahre besaß die Nürtinger DDP „eine beträchtliche Zahl an Mitgliedern“. Zu ihnen gehörten vor „allem Beamte in herausgehobener Position, Lehrer, Angehörige des gewerblichen Mittelstandes und einzelne Fabrikanten“ wie Gottlob Lock, der erste Vorsitzende nach dem Ersten Weltkrieg. In den folgenden Jahren verloren die Parteiveranstaltungen an Schwung, unter den Mitgliedern machte sich eine „gewisse Gleichgültigkeit“ und mangelndes Interesse für Politik breit. „Ab dem Sommer 1930 – und damit deutlich bevor die Partei bei den Wahlen ... in die Bedeutungslosigkeit versank – weisen verschiedene Anzeichen auf den rapiden Verfall der Organsiation der Nürtinger Demokraten hin“ (1/104f).

Schreibhilfe bei den Städtischen Werken

Fritz Knöll besuchte die kaufmännische Berufsschule (6) und bewarb sich im Jahr 1929 um die ausgeschriebene Stelle als Schreibhilfe bei den Städtischen Werken. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich „um einen einfachen Schreibhilfeposten“. Mehrere Personen hatten sich beworben, er bekam die Zusage und begann am 20. März 1929 seine Arbeit mit einem Monatsgehalt von 120 Reichsmark (7). Bis zu seiner Entlassung im Mai 1933 war er dort tätig (6). Im Oktober 1929 heiratete Fritz Knöll die Repassiererin (Anm. AS: Maschen-Aufnehmerin in der Strick-, Wirkwaren-Industrie) Berta F., die 1906 in Dapfen, heute ein Ortsteil von Gomadingen, geboren wurde. Im Jahr 1947 wurde diese Ehe, die kinderlos blieb, geschieden (8).

Als Vorsitzender der DDP-Jugend und Mitglied des Landesvorstands (6) schrieb Fritz Knöll unter anderem immer wieder Artikel für das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gab sich zur Aufgabe, die Weimarer Republik gegen ihre radikalen Feinde zu schützen. Seine Artikel veröffentlichte Fritz Knöll auch in der hiesigen Presse (1/100). Einer dieser Artikel, der von ihm verfasst wurde und im August 1927 im Nürtinger Tagblatt erschien, wird hier in Auszügen wiedergegeben:

„... Seit rund neun Jahren besteht die Republik. ... In kaum fünf Monaten gelang es dieser Organisation, ein Heer von 3 Mio. Mann aus dem Boden zu stampfen, drei Mio. Republikaner, die bereit waren, alles daran zu setzen, um die Republik zu schützen. Es sind Männer, die die Schäden des alten Reichs erkannt haben, die wissen, daß die Arbeit seit der Revolution sich zunächst darauf beschränken mußte, das Trümmerfeld zu reinigen, den Schutt zu sichten, den das alte Deutschland hinterlassen hat. Erst wenn dies geschehen, kann das neue Haus errichtet werden. Und das soll sein unter den Fahnen schwarz, rot, gold, dem Zeichen der Freiheitskämpfe von 1813 und den Einigungsbestrebungen von 1848, ,der Fahne des ganzen, ungeteilten großen Deutschlands. Doch dazu bedarf es der Ruhe und Ordnung. Diese wurde immer durch Monarchisten und Kommunisten gestört. Das will das Reichsbanner Schwarz, rot, gold, verhindern. Das ist sein Zweck. ... Als Demokraten müssen wir dem Reichsbanner beitreten, um Schulter an Schulter mit denen zu stehen, die den heutigen Staat bejahen, und denselben ausbauen wollen unter der Parole „Einigkeit und Recht und Freiheit’. ... Wir ersehen in ihm, dem Reichsbanner, unser Heil und hoffen, daß dieses auch denen noch werden wird, die heute noch ängstlich uns fern stehen. Herein zu uns, um gemeinsam mitzuarbeiten unter dem deutschen Symbol Schwarz, rot, gold zur Festigung der Weimarer Verfassung, zum Ausbau der demokratisch-sozialen Republik! - Fritz Knöll, Vorstandsmitglied der Demokratischen Jugend Württemberg.“ (9)

Der Nürtinger Ableger des „Reichsbanner(s) Schwarz-Rot-Gold“ hatte sich im März 1925 gebildet, als vierzig Mitglieder der hiesigen DDP die Ortsgruppe gründeten. (1/100) Die deutschlandweite Republikschutzorganisation hatte bald „über drei Mio. Mitglieder und eine Schutzformation mit 400.000 Mann“. Diese versagte aber „angesichts der Herausforderung durch die radikalen Parteien und deren Kampfverbände in den Krisenjahren seit 1930. ... Im März 1933 wurde das Reichsbanner aufgelöst“ (10/282).

Kündigung ohne Angaben von Gründen

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten forderten diese auch in Nürtingen die Entlassung der sogenannten „Marxisten“ aus dem städtischen Dienst. „Grundlage der Entlassungen war das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. In Nürtingen verloren vermutlich drei städtische Angestellte aufgrund dieses Gesetzes ihren Arbeitsplatz.“ Einer von ihnen war Fritz Knöll, der - ohne Angabe von Gründen - zum 1. Juli 1933 seinen Arbeitsplatz verlassen musste (1/152f).

Die nun freigewordene Stelle wurde gleich mit dem damaligen SA-Sturmführer Emil Haderer (1907-1997) besetzt (11). Mit der bevorzugten Besetzung von freigewordenen Stellen im städtischen Dienst mit ihren „alten Kämpfern“  löste die NSDAP ein Versprechen ein, „das sie ihren Mitgliedern vor 1933 gegeben hatte“ (1/154). Der in Oberensingen geborene Emil Haderer, ein gelernter Messerschmied und in der Rümelinstraße wohnend, (12) war ein erfolgreicher Geräteturner und Turnwart des Turnvereins (1/125). Er trat während der NS-Zeit immer wieder in Nürtingen als Redner bei Veranstaltungen in Erscheinung (1/225ff). Seine hiesige NS-Karriere fand ein sehr unrühmliches Ende, als er aufgrund seines Amtes als Geschäftsführer beim Kreisstab des Volkssturms am 19. April 1945 vom „kommissarischen NSDAP-Kreisleiter Heinrich Häberle“ mit der Durchführung der Erschießung des Stuttgarter Eugen Spilger „beauftragt“ wurde. Eugen Spilger hatte in einem „nach Neckartenzlingen ausgelagerten“ Betrieb gearbeitet und wollte sich „zwei Tage vor dem Einmarsch der Alliierten“ zu seiner Familie in den Schwarzwald durchschlagen. Haderer gab den Befehl weiter, „ohne Gerichtsurteil“ wurde diese Erschießung in der folgenden Nacht von zwei Volkssturmmännern an der Neuffener Steige ausgeführt (1/350f).

Fritz Knöll war ein Jahr nach seiner Entlassung noch immer erwerbslos (11). Er, „der wegen seiner antinazistischen Haltung und Aktivität entlassen worden war“, soll auch während der ganzen NS-Zeit weiter politisch verfolgt worden sein (13). Genaueres ist dazu nicht bekannt. Ab Juli 1934 betrieb er einen Milchhandel (11), vermutlich gab er seitdem seine Berufsbezeichnung mit „Kaufmann“ an (14).

Nichtzufriedenstellende Wiedergutmachung

Als Fritz Knöll nach dem Krieg aus der Gefangenschaft nach Nürtingen zurückkam, erhob er Anspruch auf seinen früheren Arbeitsplatz (3). In Nürtingen erinnerte man sich noch gut an das „langjährige Mitglied der demokratischen Partei“ (11). Auch Bürgermeister Weilenmann, der zu dieser Zeit sein Amt im Rathaus kommissarisch ausübte, setzte sich für ihn ein: „Knöll kann in den städtischen Werken im Abrechnungsbüro für eine entlassene Kraft verwendet werden“ (3). Mit diesem Angebot war Fritz Knöll erstmal einverstanden, er akzeptierte die anfängliche Gehaltsgruppe X und begann am 1. September 1945 seine Arbeit als kaufmännischer Angestellter in den städtischen Werken (13).

Im Sommer 1946 stellte Fritz Knöll fest, dass im Jahr zuvor das Bürgermeisteramt bezüglich seiner Gehaltsgruppe „von falschen Gesichtspunkten und Voraussetzungen“ ausgegangen sein musste. In einem Gesuch an das Bürgermeisteramt erklärte er: „Mein Vorgänger, der damalige S.A. Sturmführer Emil Haderer, der mich im Jahr 1933 sofort nach der Machtübernahme der Nazis aus meiner Stellung verdrängte, wurde damals nach Gehaltsgruppe VIII angestellt. Mich dagegen ... hat man durch diese Wiedereinstellung in Gehaltsgruppe X nicht viel besser behandelt als ehedem. ... Ich glaube, daß auch für mich das gleiche Recht besteht und daher nachträglich in Anwendung gebracht werden muß, wenn man mich heute als politisch Verfolgten und Bestraften der letzten 13 Jahre nicht weiter stiefmütterlich behandeln will.“ In seinem Antrag unterstrich er auch seine jetzige „leitende Stellung des gesamten Stromabrechnungswesens ... das mir ... mit anvertraut ist, (dies) dürfte wohl dafür sprechen, dass man auch mich nach Gehaltsgruppe VII künftighin entlohnen dürfte“ (15).

Als Bürgermeister und Gemeinderat seinem Gesuch nicht entsprachen und ihm die Gehaltsgruppe VII ablehnten, die Gehaltsgruppe VIII aber akzeptieren konnten, schaltete Fritz Knöll die Kreisstelle für politisch Verfolgte des Naziregimes in Nürtingen, und das Amt für Wiedergutmachung in Stuttgart ein: „Ich bitte Sie ... höflichst, auf die Nürtinger Stadtverwaltung ... einzuwirken, daß man auf diese Art und Weise mit Verfolgten des Naziregimes nicht verfahren darf. ... Sind wir, die wegen antinationalsozialistischer Aktivität bis zum Jahre 1933 nach der Machtübernahme ... aus unseren Stellungen vertrieben, heute dazu verdammt, wieder wie einst nach dem Jahre 1918 ganz unten anzufangen? Daß man mir solches zumuten kann glaube ich nicht ...“ (16).

Beide Stellen intervenierten bei Bürgermeister Weilenmann und unterstrichen Knölls Anspruch (16): „Wir sind der Meinung, daß seine gegenüber dem Gemeinderat aufgestellte Forderung auf Einreihung in die Gehaltsgruppe VII durchaus angemessen ist, wenn nicht erwogen werden sollte, ihm die Wiedergutmachungs-Gruppe VI zuzubilligen, in der er sich zweifellos bereits befinden würde, wenn nicht seine Tätigkeit durch die Nazis unterbrochen wäre“ (11). Weiter wurde angeführt, „daß nach einem Erlass des Arbeitsministeriums Württemberg-Baden ... betr. bevorzugter Arbeitsbeschaffung für politisch Verfolgte die Wiedereinstellung mind. so zu behandeln ist, als wäre kein Ausscheiden aus dem Betrieb oder der Verwaltung erfolgt. ...“ (17).

In seiner Antwort an die beiden oben genannten Stellen verteidigte Bürgermeister  Weilenmann die Entscheidung des Gemeinderats: „Es ist richtig, dass er im Jahr 1933 aus politischen Gründen entlassen worden ist. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft wurde er von mir ... wieder eingestellt und seiner Tätigkeit und Leistung entsprechend in Gruppe X eingereiht, womit er einverstanden war. ... Knöll ist nicht Kaufmann. In Gruppe VIII ist Knöll über seine Leistungen und über seine Fähigkeiten hinaus belohnt. ... Das bitte ich dem Knöll klar zu machen.“ Der Gemeinderat habe ihn nun in Gruppe VIII eingestuft, „um das im Jahr 1933 begangene Unrecht wieder gut zu machen“ (18).

Als Fritz Knöll 1950 im Rahmen des Gesetzes Nr. 951 zur Wiedergutmachung nationalen Unrechts einen Antrag auf Anerkennung einer Entschädigung stellte und „die Bewilligung einer Entschädigung von der Entlassung bis zur Aufnahme des Milchhandels und Anrechnung der Zeit der Verdrängung als tarifliche Dienstzeit“ beantragte (11), berief sich Bürgermeister Pfänder auf das  Gutachten einer „Prüfungsanstalt“, das sein Vorgänger Weilenmann im Jahr 1946 initiiert hatte: Damals hatte man Fritz Knöll „eine verantwortungsvollere Tätigkeit übertragen“ wollen. „In der Folge hat sich dann gezeigt, daß Knöll die ihm gestellten Aufgaben nicht zu erfüllen vermochte.“ Daraufhin wurde ein anderer eingestellt, dem Fritz Knöll seitdem unterstellt war (4). Damit musste er sich zufrieden geben.

Nach dem Krieg Gründung der DVP

Wie umfangreich sich Fritz Knöll nach dem Krieg in Nürtingen politisch betätigte, kann nicht beantwortet werden. Er gehörte zu den etwa zwanzig Mitgliedern, die gegen Ende November 1945 eine Ortsgruppe der Demokratischen Volkspartei (DVP) gründeten (1/367). Bei den Gemeinderatswahlen im Januar 1946 und Dezember 1947 wurde jeweils sein Vater Karl für die DVP in den Gemeinderat gewählt (1/455f).

Ab 1. September 1946 erhielt Fritz Knöll eine Tätigkeit in der Nürtinger Spruchkammer, als „zur Beschleunigung der Bearbeitung der Fälle ein zusätzlicher dritter Vorsitzendenposten bewilligt wurde“. Er bearbeitete die Internierungsverfahren und die von der Weihnachtsamnestie Betroffenen. „Damit standen zu Beginn des Jahres 1947 drei Vorsitzende und drei Öffentliche Kläger an der Spitze der Nürtinger Spruchkammer, davon (waren) die Hälfte Juristen.“ (1/413) Schon im Mai 1947 wurde Fritz Knöll zum Rücktritt aus diesem Amt gezwungen. Zuvor war er über „Gerüchte“ informiert worden, die über sein „Verhalten in letzter Zeit in Nürtingen in Umlauf sind“. Ihm wurde vorgeworfen, sich bei zwei Handwerkern und einem Geschäftsmann persönliche Vorteile zu verschaffen versucht zu haben. Im Gegenzug hatte er diesen „eine gewisse Beschleunigung“ ihrer Entnazifizierungssache in Aussicht gestellt. - Im August 1947 bewarb sich Fritz Knöll erneut um eine Tätigkeit bei der Spruchkammer, ob er diese Stelle erhielt, ist nicht bekannt (5).

Um diese Zeit lebte Fritz Knöll mit Hermine, geborene D., aus Ebersbach zusammen (Jg. 1914) in der Marienstraße. Vermutlich brachte diese ihren Sohn Werner, der 1937 geboren wurde und später den Beruf des Maschinenschlossers erlernte, mit in die Partnerschaft (8). Im Jahr 1958 zog Fritz Knöll nach Nürtingen-Hardt (5). Ob er ein zweites Mal heiratete, ist nicht überliefert. Er starb 1978 in Nürtingen (19).

Quellen:
1. Nürtingen 1918 – 1950, Hrsg. R. Tietzen, Verlag Sindlinger- Burchartz, Nürtingen/ Frickenhausen, 2011, ISBN 978-3-928812-58-0
2. StAL, EL 350 I Bü 1836, Blatt 1/3 v. 31. 05. 1933
3. ebd. Blatt 1/ 2 v. 29. 08. 1945
4. ebd. Blatt 9 v. 20. 01. 1951
5. StANT, HStAS EA 11/150/ 2121
6. StAL, EL 350 I Bü 1836, Blatt 8 v. 08. 12. 1950
7. StANT, Gemeinderatsprotokoll 1929 Nr. 115
8. StANT, Heiratsregister Nr. 1929/ 51
9. StANT, Nürtinger Tagblatt vom 18. 08. 1927
10. F. Bedürftig, Lexikon Drittes Reich, Piper Verlag, München, 1997, ISBN 3-492-22369-9
11. StAL, EL 350 I Bü 1836, Blatt 7 v. 04. 11. 1950
12. StAL, EL 903/3 Bü 420, Blatt 32-44
13. StAL, EL 350 I Bü 1836, Blatt 2 v. 20. 08. 1946
14. ebd. Blatt 1/3 v. 08. 11. 1950
15. ebd. Blatt 1/1 v. 31. 07. 1946
16. ebd. Blatt 1a v. 17. 08. 1946
17. ebd. Blatt 3 v. 02. 09. 1946
18. ebd. Blatt 4 v. 09. 09. 1946
19. StANT, Info Mai 2018

Anne Schaude, 2018