Aus Janovice in die Sklavenarbeit verschleppt: Die Nürtingerin Genowefa Beck geborene Krakowska

Nach einem Beitrag von Larissa Vinçon, früher Schülerin des Hölderlin-Gymnasiums

Genowefa Beck, wohl 60er-Jahre, mit freundlicher Genehmigung, alle Rechte vorbehalten!
Genowefa Beck, wohl 60er-Jahre, mit freundlicher Genehmigung, alle Rechte vorbehalten!

Genowefa Beck ist nicht direkt ein Nürtinger NS-Opfer, das heißt, sie ist nicht in Nürtingen als Zwangsarbeiterin eingesetzt gewesen. Aber sie war Nürtingerin, später. Vor ihrer Zeit in Nürtingen war sie anderenorts im Deutschen Reich, in Württemberg, als Zwangsarbeiterin verwendet worden. Sie ist eine Nürtingerin, die Leidtragende des Nationalsozialismus war, eine Nürtinger Zeitzeugin. Deshalb ist ihr Schicksal zur Veranschaulichung hier dargestellt.

Insbesondere kommt zum Ausdruck, wie Zwangsarbeiterinnen in Polen und anderen besetzten Gebieten aufgegriffen wurden.

 

Die Nürtingerin Genowefa Beck, geborene Krakowska, wurde am 10. September 1922 in Janovice (Polen) geboren.

 

 

 

 

Sie wuchs auf einem Bauernhof auf. Nach dem Schulabschluss ging die Fünfzehnjährige als Kindermädchen in Stellung.

 

Am 1. September 1939 änderte sich alles.

 

Die Wehrmacht überfiel Polen.

 

Dem Vernichtungskrieg fielen nach den Kampfhandlungen viele Polen zum Opfer. 

Menschenraub: Wie ein Stück Vieh auf den LKW geworfen

 

Anfang 1940 ging Genowefa Krakowska nichts ahnend die Straße entlang. Deutsche Soldaten packten sie und warfen sie "wie ein Stück Vieh" auf einen Lastwagen. Mit anderen Polen, die ebenfalls aufgegriffen waren, wurde sie zunächst nach Krakau in ein Lager verschleppt. Bei der ärztlichen Untersuchung der jungen Frauen - durch einen "Tierarzt", wie Genowefa Beck abschätzig urteilte - geilten sich beobachtende deutsche Soldaten auf.

Abtransport von "Ostarbeitern" mit LKW zur Bahnstation, Juni 1942, Foto: Rabenberger, Bundesarchiv, Bild 183-B25444 / CC-BY-SA, Lizenz:  Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany
Abtransport von "Ostarbeitern" mit LKW zur Bahnstation, Juni 1942, Foto: Rabenberger, Bundesarchiv, Bild 183-B25444 / CC-BY-SA, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany
 Ein sogenanntes "Polenabzeichen", das aufgrund der "Polenerlasse" vom 8. März 1940 jeder polnische Zwangsarbeiter in Deutschland tragen musste, Lizenz: public domain
Ein sogenanntes "Polenabzeichen", das aufgrund der "Polenerlasse" vom 8. März 1940 jeder polnische Zwangsarbeiter in Deutschland tragen musste, Lizenz: public domain

Verschleppt ins Deutsche Reich

 

Am 10. März 1940 ging es auf Transport nach Deutschland. Während der sechs Tage Fahrt bestand die Verpflegung nur aus Kohlsuppe. 

Ab nun wurde Genowefa Beck als Zwangsarbeiterin verwendet, zunächst in Crailsheim. Auf dem ersten Bauernhof ging es ihr so schlecht, dass sie den Schweinen Kartoffeln wegaß. Wie sie später erfuhr, wurden 1943 ihre Eltern nach Auschwitz "deportiert" und ermordet, weil ihr Vater jährlich drei Fohlen an Juden verkauft hatte.

Einer ihrer Brüder kam in derselben Zeit in einem Gefangenenlager in Hamburg ums Leben. 

Heftige Ohrfeige

 

1944 passierte es, dass auf dem Markt in Brettheim ihr "P"-Abzeichen (für Polen) an ihrer Kleidung verrutscht war. Der Ortsgruppenleiter gab ihr eine so heftige Orhfeige, dass sie auf einem Ohr ein halbes Jahr nichts mehr hörte.

 

In der Endphase des Krieges wurden eben dieser Ortsgruppenleiter zusammen mit dem Ortsvorsteher und einem Bauern in Brettheim gehängt, weil sie der Hitlerjugend verboten hatten, Gräben zur Verteidigung des Dorfes auszuheben.

 

Nach der NS-Zeit

 

Nach der NS-Zeit bekam sie zwei Kinder, doch die Ehe mit einem polnischen Mann, Herrn Szule, ging in die Brüche. Mit ihren Kindern lebte sie zunächst in einem Auswanderungslager bei Ludwigsbrug. Eine Emigration in die Vereinigten Staaten zerschlug sich. Über Ludwigsburg gelangte Genowefa Szule im Jahr 1952 schließlich in die Baracken des Mühlwiesenlagers in Nürtingen, dort, wo vordem Zwangsarbeiter interniert und danach Flüchtliche und Heimatvertriebene, vor allem Deutschböhmen und Deutschmährer untergebracht waren. 

 

Im Mühlwiesenlager war der Familie zunächst ein Raum zugewiesen, später kam ein zweiter hinzu. Frau Szule suchte sich Putzstellen, anfangs im Rathaus, danach in Privathäusern und später bekam sie bei einem Gärtner Arbeit. Nach langem Sparen konnte sie sich einen Propangas-Herd zu kaufen. Nun war das Holzsammeln vorbei.

 

Sie solle doch dorthin gehen, wo sie herkomme

 

Als ihr ältester Sohn eingeschult wurde, fiel dort auf, dass er nur Polnisch sprach. Deswegen riet ihr der Schulleiter, sie solle doch am Besten dorthin gehen, wo sie herkomme, nach Polen. Darauf entgegnete sie, zuvor sei sie gut genug gewesen, um für Deutschland zu arbeiten. Jetzt aber wolle man sie wegschicken.

 

In der Braike

 

1959 erhielt die Familie eine Wohnung in der Braike. Sie heirate ein zweites Mal, und hieß ab da Frau Beck. Weil sie einen deutschen Mann heiratete, erheilt sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie arbeitete zunächst bei Metabo, danach bügelte sie in Textilfabriken, teils putzte sie zusätzlich abends. Im Alter von 56 Jahren wurde sie arbeitsunfähig geschrieben

 

Keine Entschädigung

 

Die Nürtingerin Genowefa Beck hat nie Entschädigung für die Verschleppung und Sklavenarbeit erhalten.

 

*

 

Larissa Vinçon schrieb ihren Beitrag über Frau Beck, der hier als Vorlage diente, als Schülerin (Hölderlin-Gymnasium, 12. Klasse) und erhielt dafür den zweiten Preis im Schreibwettbewerb des Kreisjugendrings zum Thema „Meine Nachbarn, die Polen". Genowefa Beck hatte  sie im  Dr.-Vöhringer-Heim in Oberensingen kennen gelernt. Larissa Vinçon resümiert:

 

So viele Menschen wie möglich sollen von dem Schicksal der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter mitbekommen!

 

Literaturtipp:

 

Larissa Vinçon: Frau Beck, in: SPONGO. Die Schülerzeitung des Hölderlin-Gymnasiums Nürtingen, Dezember 2007, S. 49-50.

Quellen:

 

  • Larissa Vinçon: Frau Beck, in: SPONGO Dezember 2007, S. 49-50.
  • Sina Österreicher/Larissa Vinçon: Frau Beck, in: Eßlinger Zeitung vom 20. Februar 2009

Zusammengestellt in enger Anlehnung an den Text von Larissa Vinçon und Sina Österreicher von Manuel Werner, mit freundlicher Genehmigung von Larissa Vinçon, Stand: 27. Oktober 2013.

 

Dank an Larissa und Michael Vinçon!

 

 

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