Haftstrafen für die Gegner des Regimes

„Zwangsmaßnahme der Geheimen Staatspolizei“: 

Ohne einen zentralen Plan entstanden im Frühjahr 1933 überall im Deutschen Reich sogenannte „Konzentrationslager“, die der Internierung und Drangsalierung politischer Gegner dienen sollten. Ab Februar 1933 bildete die "Reichsbrandverordnung" mit der Aufhebung des Grundrechts auf persönliche Freiheit die formale Grundlage für willkürliche Inhaftierungen. Für diese Vorgehensweise bürgerte sich der Begriff „Schutzhaft“ ein. Als „Zwangsmaßnahme der Geheimen Staatspolizei“ konnte gegen Personen die so genannte Schutzhaft verhängt werden, „die durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden“. 1933/34 konnten Funktionäre der NSDAP, der SA und der SS beliebig "Schutzhaft" anordnen, die in siebzig Konzentrationslagern, in speziellen Abteilungen von Haftanstalten, in Haftlokalen der SA und SS, in Kasernen, stillgelegten Fabriken und Wirtshauskellern vollstreckt wurde. (1 S. 113)


Im Jahr 1936 wurde die bereits praktizierte Willkür gesetzlich untermauert: „Verfügungen der Geheimen Staatspolizei unterliegen nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte.“ Die Gestapo missbrauchte das Mittel der Schutzhaft immer rücksichtsloser zur Ausübung von Terror und Unterdrückung. Vorgenommene Verhaftungen richteten sich anfänglich meist gegen Kommunisten, später gegen alle Gegner des Regimes, auch gegen die, die zu Gegnern erklärt worden waren. Kurz nach Beginn des Krieges bestimmte ein Erlass, dass Entlassungen von Häftlingen aus der Schutzhaft während des Krieges im allgemeinen nicht stattzufinden hatten. (2 S. 191)



Vergehen gegen das "Heimtückegesetz"


Ende 1934 wurde das „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniform“ erlassen. Damit hatten die neuen Machthaber die Möglichkeit,  jede Kritik an ihrer Regierung mit härtesten Strafen zu verfolgen. Missbrauch des Gesetzes wurde nun mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft. Wer also „vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art“ aufstellte oder verbreitete, die geeignet war, Wohl und Ansehen der Reichsregierung zu schädigen, konnte von Sondergerichten abgeurteilt werden. (3 S. 196)


In Absatz 2 des Gesetzes hieß es zum Beispiel: „Den öffentlichen Äußerungen stehen nichtöffentliche böswillige Äußerungen gleich, wenn der Täter damit rechnen muss, dass die Äußerung in die Öffentlichkeit dringen werde.“ Somit konnten alle wahren Tatsachen, die den Nationalsozialisten nicht passten, als unwahr hingestellt und nach diesem neuen Gesetz verfolgt werden. Das Gesetz ließ jede Auslegung offen: Es wurde möglich, dass sogar harmloseste Kritik strafrechtlich verfolgt wurde, insbesondere konnten nun politische Gegner terrorisiert werden. Der Bespitzelung und Denunziation waren damit alle Möglichkeiten, der Lüge und Verleumdung jeder Spielraum, gegeben. (2 S. 89) 


Sogenannte Denunzianten trugen auf diese Art und Weise zum „Erfolg“ des NS-Verfolgungsapparates bei. Meist wurden harmlose „Meckereien“ denunziert (3 S. 196), wobei die Täter auch Arbeitskollegen, Nachbarn und Verwandte anzeigten, die oft aus derselben Gesellschaftsschicht stammten. Nicht selten waren es Frauen, die sich dafür zuständig fühlten, dass zum Beispiel missliebige Personen in Schutzhaft genommen wurden. (3 S. 220f) 


Auch für Nürtingen sind mehrere Schicksale von Opfern überliefert (in dieser Webseite hier dargestellt). Hier gab es zwar keine Gestapo-Dienststelle, hier konnte aber der Landrat Personen, die verdächtigt wurden, gegen das "Heimtückegesetz" gehandelt zu haben, bis zu 21 Tage in Haft behalten. Danach entschied die Gestapo (4) über die weitere Vorgehensweise. Nürtinger Bürger mussten bis zu mehreren Wochen unter unwürdigen Bedingungen im hiesigen Amtsgerichtsgefängnis ausharren und um ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Freiheit fürchten, weil sie zum Beispiel im privaten Kreis eine unvorsichtige Bemerkung gemacht hatten. 


Erst nach Kriegsende konnten sich die Denunzierten mit einer Aussage vor der Spruchkammer gegen ihre Denunzianten wehren. Ein Teil dieser Dokumente sind erhalten und zeugen deutlich von erlittenem Unrecht der Betroffenen in einem Reich, in dem Kontrolle und Unterdrückung bis in den privaten Bereich hinein zum Alltag der Menschen gehörte. 



April 2015, Anne Schaude

Quellen:


  1. W. Benz, Geschichte des Dritten Reiches, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 377, Verlag C.H. Beck, München, 2000, ISBN 978-3-89331-449-2
  2. H. Kammer/ E. Bartsch, Nationalsozialismus, Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933 – 1945, Rowohlt Verlag, 1992
  3. Nürtingen 1918 – 1950, Hrsg. R. Tietzen, Verlag Sindlinger- Burchartz, Nürtingen/ Frickenhausen, 2011, ISBN 978-3-928812-58-0
  4. EL 903/4, Bü 102, Blatt 227