Schweizer Grenzsperre

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Ein grundlegender Wandel in der Politik gegenüber ausländischen Roma,Sinti und Jenischen setzte 1906 ein, als der Bundesrat – auf Initiative von Eduard Leupold,Adjunkt der Polizeiabteilung – eine Grenzsperre gegenüber Zigeunern erliess und derenBeförderung mit der Bahn und mit Dampfschiffen verbot.1 1951 hielt Oskar Schürch von der Polizeiabteilung des EJPD rückblickend fest,«dass in der Schweiz keine Zigeuner im eigentlichen Sinne mehr leben. Schon vor dem erstenWeltkrieg wurden eingehende Fahndungen nach Zigeunern durchgeführt, ihre Identität abgeklärt unddie als Zigeuner festgestellten Personen in ihre Heimatstaaten abgeschoben.»348
In der Schweiz wurde die Grenzsperre für ausländische und staatenlose Roma und Sinti auchnach 1945 aufrechterhalten.
Im folgenden Jahr, am 17. Oktober 1960, bekräftigte die eidgenössische Fremdenpolizeierneut die Gültigkeit der Grenzsperre:«Die Erfahrungen der letzten Zeit haben bestätigt, dass die Einreise von Zigeunern auch heute nochunter allgemeinen polizeilichen und unter speziellen fremdenpolizeilichen Gesichtspunktenunerwünscht ist. Sämtliche Zigeuner sind deshalb an der Grenze zurückzuweisen, gleichgültig ob sieein normalerweise für den visumsfreien Grenzübertritt gültiges heimatliches Ausweispapier odereinen mit einem konsularischen Visum versehenen Reiseausweis besitzen.»369Die Existenz von diskriminierenden Bestimmungen mit sonderrechtlicher Wirkung, wie sie inden zitierten Weisungen zur Grenzsperre und in der Praxis zum Ausdruck kommen, setzte dieBehörden zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Oskar Schürch, Chef der Polizeiabteilung,leugnete 1970 auf Anfrage hin die Existenz besonderer Vorschriften und behauptete, diePraxis bei der«Erteilung von Einreise- und Aufenthaltsbewilligungen an ausländische Zigeuner» richte sich «nachden für die Ausländer im allgemeinen geltenden Bestimmungen [...]. Jeder Ausländer, sofern er die––––––––––––––––––––––––372 Unter fahrenden Roma ist es üblich, das Vermögen in Form von Schmuck, Gold und Bargeld mitzuführen. Prof. JoachimHohmann, Gutachtliche Äusserung. 10. Februar 1997; Reimar Gilsenbach, Verluste der Roma während der rassischenVerfolgung 1933 bis 1945, 16. Februar 1997. Beide Dokumente sind im Besitz der UEK.373 Jan Cibula ist Mitbegründer von Organisationen wie der Radgenossenschaft und der Romani Union. Sein Engagementfür die Menschenrechte wurde 1985 mit dem Kulturpreis der Stadt Bern ausgezeichnet. Einzig anlässlich desinternationalen Treffens der Zigeunermissionen in Sevelen, St. Gallen, 1957 erhielten auch Roma als Mitglieder derDelegationen aus 14 Ländern Einreisebewilligungen. Der Zigeunerfreund, Nr. 64, Dezember 1957, S. 4f.374 Huonker, Volk, 1990, Interview mit Robert Huber aus dem Jahr 1986, S. 239.375 Kantonspolizei Zürich (Bibliothek), Unsere Kriminalregistraturen, Zürich o.J., S. 14. Das aus den 1950er Jahrenstammende Heft führt in seiner Liste ein Jenischenregister an. Ob auch andere Kantons- oder Stadtpolizeibehördensolche Spezialregister über Jenische einrichteten, konnte im Rahmen dieses Berichts nicht abgeklärt werden.5 Ausblick: Kontinuitäten und Zäsuren 85Voraussetzungen erfüllt, hat demnach unabhängig von seiner Nationalität, Herkunft oder Rasse dieMöglichkeit, sich in der Schweiz aufzuhalten.» 1972 hob die Fremdenpolizei die Grenzssperre auf:«Zigeunern, die ein für die visumsfreie Einreise gültiges Ausweispapier eines Nachbarstaates derSchweiz besitzen, ist die Einreise [...] zu bewilligen.».. Erst 1972 hob die schweizerische Fremdenpolizei die Grenzsperre für "Zigeuner" auf.  Thomas Huonker, Regula Ludi:Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus. Beitrag zurForschung, Zürich 2001 (Veröffentlichungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – ZweiterWeltkrieg, Bd. 23)
http://www.uek.ch/de/index.htm

 

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