Karl Gerber,‭ ‬KZ Überlebender‭ ‬,‭ ‬Chronist und Künstler

Herkunft und Politisierung

Karl Gerber wurde am‭ ‬11.Juli‭ ‬1906‭ ‬in Nürtingen geboren.‭ ‬Sein Vater war‭ ‬Rotgerber,‭ ‬daher war der‭ ‬Lebensunterhalt‭ ‬für die Familie in Kindheit und Jugend Karl Gerbers kärglich.‭ ‬Er‭ ‬schloss sich der Kommunistischen Partei an und machte‭ ‬die Bildungsarbeit der Parteifreunde zu seiner Aufgabe.‭

Bei der Reichstagswahl am‭ ‬5.‭ ‬März‭ ‬1933‭ ‬erhielt die kommunistische Partei in Nürtingen‭ ‬21,4‭ ‬%‭ ‬der Stimmen,‭ ‬doch dann schlug Hitlers Machtapparat zu.‭

Willkür und Tyrannei

In der Nacht vom‭ ‬10.‭ ‬auf den‭ ‬11.‭ ‬März‭  ‬ wurden die‭ ‬ Kommunisten,‭ ‬Karl Gerber,‭ ‬Werner Gross,‭ ‬Gustav Diem und Hermann Berg von der ersten Verhaftungswelle erfasst.‭ ‬Andere wurden später festgenommen.‭ ‬Man brachte sie‭ ‬in‭ ‬das erste württembergischen‭  ‬KZ‭  ‬Heuberg auf der Schwäbischen Alb.‭

Nach‭ ‬ seiner‭ ‬ Entlassung‭ ‬im Herbst‭ ‬1933‭ ‬trat Karl Gerber‭ ‬offiziell aus der KPD aus,‭  ‬hielt aber weiter‭ ‬engen Kontakt zu den Parteifreunden.‭ ‬Er‭ ‬ gründete‭ ‬eine Familie‭ ‬mit Emilie‭ ‬Haug‭ ‬aus Neuffen,‭ ‬im Jahr‭ ‬1937‭ ‬kam der Sohn‭ ‬ Walter‭ ‬auf die Welt.‭ ‬Im‭ ‬ November‭ ‬1939‭ ‬wurde‭ ‬Karl Gerber‭ ‬wieder‭ ‬ eingesperrt,‭ ‬über Wochen in Einzelhaft‭ ‬im Gefängnis in Esslingen‭ ‬Verhören unterzogen.‭ ‬Von dort‭ ‬ kam er‭ ‬in die gefürchtete‭ „‬Büchsenschmiere‭“ ‬in Stuttgart,‭ ‬um schließlich in das‭ „‬Schutzhaftlager Welzheim‭“‬ überführt‭ ‬ zu werden.

Nach einem Jahr‭ ‬ wurde‭ ‬er‭ ‬als‭ „‬Politischer‭“ ‬in das‭  ‬KZ Dachau gebracht,‭ ‬ dann in das‭ ‬ Männerlager des KZ Ravensbrück‭ ‬transportiert‭ ‬und schließlich‭  ‬Mitte Januar‭ ‬1945‭ ‬in‭ ‬das‭ ‬Vernichtungslager‭ ‬ Auschwitz-Birkenau,‭ ‬überstellt‭ ‬ zur‭ „‬Bewährungsdivision‭“  ‬Dirlewanger.‭ ‬Nach der Befreiung‭ ‬des KZ‭ ‬durch die Rote Armee‭ ‬kam‭ ‬er‭ ‬in russische Kriegsgefangenschaft.

Zum Sterben krank,‭ ‬entkommen aus‭ ‬der‭ ‬Gefangenschaft,‭ ‬schlug er sich‭ ‬im Herbst‭ ‬1945‭ ‬durch nach‭ ‬Hause,‭ ‬wo selbst seine Frau‭ ‬ihn‭ ‬nicht mehr erkannte,‭ ‬der er in hohem Maße verdankte,‭  ‬dass er überhaupt noch lebte.

Zeitzeuge und Chronist

Nach seiner Heimkehr musste‭ ‬Karl Gerber‭ ‬erleben,‭ ‬dass‭ ‬kaum jemand sich‭ ‬erinnern wollte,‭ ‬ wie in Nürtingen‭ ‬der Machtapparat des‭ ‬3.‭ ‬Reiches funktioniert‭ ‬hat.‭

Ernst Planck,‭ ‬Vorsitzender der Nürtinger Spruchkammer,‭ ‬sorgte dafür,‭ ‬ dass Karl Gerber als‭ ‬Mitarbeiter‭ ‬hinzugezogen wurde‭ ‬und‭ ‬an der Aufdeckung der‭ ‬systemischen Ursachen des Naziregimes‭ ‬ mitarbeiten konnte.‭ ‬Sein besonderes Augenmerk galt Firmen,‭ ‬die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten,‭ ‬unter‭ ‬oft‭  ‬menschenunwürdigen Bedingungen.‭

Damals begann‭ ‬er mit der Niederschrift seines Lebens als Häftling‭ ‬in‭ ‬ den‭ ‬Gefängnissen und‭ ‬KZs,‭ ‬dem‭ „‬Lagerbuch‭“‬.‭ ‬In dieser Zeit entstanden‭ ‬auch‭ ‬die Zeichnungen und Gedichte,‭ ‬von denen er manche‭ ‬ seit der KZ-‭ ‬Zeit im Gedächtnis bewahrt hatte.‭

Belastet‭ ‬von dem entwürdigenden Ringen‭ ‬um Anerkennung als Geschädigter und‭ ‬um Wiedergutmachung,‭ ‬musste‭ ‬er‭ ‬darum‭ ‬kämpfen,‭ ‬seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.‭ ‬Er‭  ‬willigte schließlich ein,‭ ‬bei der Stadt als‭ „‬Amtsbote‭“ ‬angestellt zu werden.‭

1962‭ ‬starb seine‭ ‬erste Frau.‭ ‬Er ging eine zweite Ehe ein mit Lieselotte‭ ‬Ramsauer,‭ ‬die‭ ‬ihm‭ ‬ein geschütztes Zuhause schuf.

Der Künstler

Nachdem er vorzeitig‭ ‬invalidisiert wurde,‭ ‬gab er sich ganz der‭ ‬Fortentwicklung seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten hin.‭ ‬Es entstand ein‭ ‬Kosmos von Bleistiftzeichnungen.‭ ‬Die schwer‭ ‬zu zeichnende Silberdistel wurde zu seinem Lieblingsmotiv.‭ ‬Er schuf Gedichte,‭ ‬aus denen eine‭ ‬existentielle‭ ‬Seelenverwandtschaft mit Hölderlin spricht.‭

Seine künstlerische Produktivität hat ihm,‭ ‬zu seiner eigenen Verwunderung,‭ ‬öffentliche‭ ‬Anerkennung verschafft.

Karl Gerber starb‭ ‬1983‭ ‬im Alter von‭ ‬77‭ ‬Jahren.

Barbara Dürr, Juli 2016